Heureka (Ich habe (es) gefunden)

Katharina Steiner
2 min readApr 16, 2020

Für manche Menschen steht das Schicksal unseres Planeten an erster Stelle, sie sind leidenschaftlich interessiert und motiviert, etwas zu verändern. Einige leugnen den Klimawandel, andere spüren bereits dessen Auswirkungen und viele betrachten die Veränderungen auf unserem Globus mit Sorge, glauben aber nicht, dass sie die Geschehnisse beeinflussen können.

Dennoch vereint in einer Schicksalsgemeinschaft kämpfen wir täglich um unseren Platz in der Welt und ringen mit den damit verbundenen Gefahren des Irrtums und des Scheiterns. Was können wir tun? Was ist richtig oder falsch? Im heutigen Leben finden ethische Betrachtung und Besinnung wenig Raum, denn sie kosten Zeit und Mühe. Laut Definition ist ein ethischer Mensch ein Weiser, der die feine Zunge und das feine Organ für die Wertfülle des Lebens besitzt.

Sokrates, einer der bekanntesten Philosophen der Antike und der erste große Ethiker, war der Überzeugung, dass dieses Gespür in jedem Menschen angelegt sei und dass auf die richtige Beurteilung einer Situation richtiges Handeln folge. Wirkliche Erkenntnis könne aber nur in der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber gewonnen werden. Sokrates bewegte sich im Freien, verwickelte Menschen ins Gespräch und versuchte, gemeinsam im Dialog zu tieferen Einsichten zu gelangen. Gleich einer geistigen Geburtshilfe, der sogenannten Mäeutik (Hebammenkunst), half er seinem Gegenüber durch eine geschickte Gesprächsführung Antworten und Einsichten ans Licht zu bringen. Wie eine Hebamme hilft, Kinder auf die Welt zu bringen, half er seinem Gegenüber bei der „Entbindung“ neuer Gedanken. Er stellte Fragen, bis der andere selbst Schlüsse ziehen konnte, allerdings nur vorläufig, denn sie konnten jederzeit wieder hinterfragt werden. Nach eigener Reflexion kam Sokrates zu der Erkenntnis, „nur dies zu wissen — dass er nichts wisse“.

Es scheint, als stehe heute eine andere Annahme im Vordergrund. Sie lässt uns glauben, dass wir über schnell verfügbare Informationen Einsichten gewinnen können: „Ich weiß, dass ich alles wissen könnte.“ Auf einen Blick oder Klick. Wir befragen Siri oder befehlen Alexa. Hey Google: Heureka!

Die Orte des Dialogs haben sich verschoben. Die Debattierklubs der Neuzeit, die sozialen Netzwerke, bieten Raum für Dialoge ohne wirkliches Gegenüber, für soziale Kommunikation, moderne Beziehungsgestaltung und andauernde Selbstvergewisserung. Das ist nicht richtig oder falsch, birgt aber für den Einzelnen die Gefahr, Ansichten vorschnell festlegen zu müssen. Der Follower wartet nicht lang. Bleibt die Vielschichtigkeit des menschlichen Gesprächs auf der Strecke? Verlernen wir das Zuhören und das Fragen? Fehlt uns die Muße für ein persönliches Gespräch? Gehen wir noch das Risiko ein, nach langen Irrungen und Wirrungen festzustellen, dass wir nichts wissen oder dass wir die Welt mit anderen Augen sehen? Wir sollten das persönliche Gespräch suchen. Es bringt uns zum Nachdenken, auf neue Ideen und ermutigt uns, etwas zu verändern.

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Katharina Steiner

Writes about sustainability, society, philosophy and future aspects. Worked as actress and dramaturg. Mother of two children. Lives in Munich, Germany.